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Rudolf Otto Wiemer

Zum hundertsten Geburtstag des Schriftstellers


Schwerter zu Pflugscharen: Die Generale haben sich zum Golfspielen entschlos-sen... In den Folterkammern wird Brot gebacken. „Gute Nachrichten“ heißt das Gedicht, aus dem diese Botschaften stammen: Man läßt den Gegner zu Wort kommen. Die Grenzen werden geöffnet. Man lächelt über sich. - Lauter gute Nachrichten. Der Mann, der sie erfunden hat, Rudolf Otto Wiemer, beschrieb eine Welt, die nicht wirklich, aber wünschenswert ist.

Wiemer hat zwei Weltkriege erlebt; 1905 wurde er in Thüringen geboren, in Friedrichroda, ohne „s“, wie er oft betonte. Ein Dutzend Bücher schrieb er für Kinder und Jugendliche, sie trugen Titel wie „Der gute Räuber Willibald“, die meisten hat er verfaßt, als er schon Großvater war. Ursprünglich wollte er für jedes Enkelkind ein Buch machen, doch als er 75 war, stand es 10 : 7 für den Großvater.

Bis ins hohe Alter - er starb 93jährig 1998 in Göttingen - blieb er ein „junger“ Schriftsteller. Nicht weil er auch für Kinder und Jugendliche schrieb, sondern weil er den Anschluß an die zeitgenössische, auch experimentelle Literatur gefunden hatte. Obwohl er schon als junger Lehrer Stücke für Laien veröffentlichte und damit in Schulen und musischen Gruppen ein bekannter Autor war, ist seine Lesergemeinde erst in den 70er Jahren stärker gewachsen und gesellschaftlich in die Breite gegangen. 1977 erschien sein Roman „Die Schlagzeile“, danach „Mahnke - die Geschichte eines Lückenbüßers“, bald auch Bücher mit zeitkritischen Gedichten, die viele Leute aufhorchen ließen. Sie brachten ihm den Ruf ein, einer der wenigen literarisch ernstzunehmenden christlich geprägten Autoren dieser Jahrzehnte zu sein. Aber er ließ sich ungern so etikettieren: „Der Glaube verdirbt den Stil“, sorgte er sich.

Manche Gedichte kamen unter dem Pseudonym Frank Hauser heraus. So auch die „Frage eines Landstreichers“: klopfe ich an die haustür, / bist du der / besitzer. schleiche ich über den hof, / kleffst du. / ... in den zellen spielst du / den heimtückischen wärter. / warum, so frag ich, / stellst du dich, gott, / zu denen, die haben? Vorwurfsvolle Frage eines „kleinen“ Mannes. Was für ein Gott, der auf der Seite der Reichen, der Herrschenden steht, zu stehen scheint? Immerhin wendet sich der Gauner an diese zweifelhafte Größe. Der Autor läßt den Zukurzgekom-menen wohl auch stellvertretend fragen. Und das durchaus nachhaltig.

Denn im Zentrum des Wiemer-Werkes stehen Fragen: die nach Gott, nach seiner Gegenwart, seiner Macht, seiner Gerechtigkeit, aber auch nach seiner Abwesenheit. Etwa in „Kommentar zu Psalm 73", einem aufrührerischen Text aus dem Band „Ernstfall": Israel hat dennoch Gott zum Trost, wer nur reinen Herzens ist. So der Psalm. Und dann Wiemer: Ich wohne in der Bundesrepublik, Gott tröstet mich nicht und mein Herz ist schmutzig. Und so weiter: Ich aber hätte schier gestrauchelt mit meinen Füßen; mein Tritt wäre beinahe geglitten. Dagegen er: Jeden Tag stolpere ich x-mal, selbst bei größter Vorsicht, ich falle, obwohl ich nach oben will, die Treppe hinunter, die Hausbewohner lachen über mich, deshalb hasse ich sie.

In ein ganzes Bündel von Fragen mündet Wiemers Prosatext „unsereiner“: Warum darf unsereiner nie? Warum muß unsereiner für unsereinen herhalten? Warum immer nur unsereiner? Warum stimmt bei unsereinem die Kasse nicht? Warum fällt unsereiner nicht mal die Treppe rauf? Warum wird unsereiner nicht gefragt? Warum wird unsereiner in die Welt gesetzt?

Manche Wiemer-Texte wurden vertont. So sein bekanntes Gedicht „Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel“. Im Evangelischen Gesangbuch sucht man den Autor jedoch vergeblich: Um ihn darin aufzunehmen, lag er wohl zu wenig im Trend derer, die das Neue im kirchlichen Leben regulieren. Er hat verhalten gejubelt, vieles behutsam angekratzt. Aber immer wieder seine Fragen gestellt, zu Krieg und Frieden, zu Schuld und Gedankenlosigkeit. Und er hat gezeigt, wie das Fragwürdige aus der Sprache entsteht, die wir täglich sprechen.

Seine familiären Nachfahren ehren ihn: Zu seinem hundertsten Geburtstag (am 24. März) haben sie für ihn einen Platz im Internet eingerichtet: www.rudolf-otto-wiemer.de. Hinweise auf dieses Leben und Werk sind also leicht erreichbar. Sie sind noch längst nicht ausgeschöpft.

Wolfgang Fietkau


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