Das Blaue
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Nicht jedermanns Sache

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Sie gucken ja so ängstlich. Sehen Sie meinen Kittel an, der ist grau. Damit es keine Verwechslungen gibt. Früher habe ich meine Arbeit im weißen Kittel gemacht. Das gab Komplikationen, können Sie sich vorstellen. Wenn ich meine Scheren auspackte, dachten die Leute alles mögliche, aber nicht an den Friseur. Kopf hoch, wenn ich bitten darf.

Ich bin diese scheuen Blicke der Kundschaft gewöhnt, machen Sie sich nichts draus. Ich erzähle den Leuten immer, daß ich ihnen nicht wünsche, meine Arbeit machen zu müssen. Bitte sehr, ich habe natürlich nichts gegen den einzelnen Kunden, Anwesende immer ausgeschlossen, nicht wahr! Aber wir sind verpönt wie die Henker und haben es bedeutend schwerer als unsere Kollegen draußen. Die haben natürlich nicht soviel Wechsel in der Kundschaft, müssen nicht mit dem Gerät herumziehen, und Sie sehen ja, auf was für einem Stuhl Sie sitzen. So soll man nun arbeiten. Und dauernd an neuen Köpfen, kaum, daß ich mal zum dritten, vierten Schnitt komme. In den Ohren steht es ihnen aber auch.

Weiß der Himmel, warum wir so verpönt sind. Aber wir sind es. Das hört man überall. Neulich wollte ich eine Urlaubsvertretung besorgen, nannte einem Kollegen Zahlen über die Verdienstmöglichkeit, habe gleich ein bißchen hochgegriffen. Das mach ich, sagte der, selbstverständlich. Aber als er dann hörte: Krankenhaus, da war er weg vom Fenster. Nein, nein, das will keiner. Etwas nach links, bitte.

Das ist auch wirklich nicht jedermanns Sache. Da darf man nicht zimperlich sein. Das kann nicht jeder. Sehen Sie sich mal meine Hände an. Wie oft war ich damit schon im OP. Das kommt so: die Kunden machen eine plötzliche Bewegung. Sie können ja nichts dafür, ich nehme das keinem übel. Sie machen also ihre Bewegung, ich will das Messer noch wegnehmen, aber das wird zu hastig oder weiß ich, wie das kommt. Jedenfalls hau ich mir genau in die Fingerkuppe. Ich geh zur Aufnahme, die sagen mir, das können wir nicht stillen, müssen ein bißchen nähen, drei, vier Stiche, und schon liege ich auf dem Operationstisch. So, denKopf bitte etwas weiter runter. - Also, sehen Sie sich ruhig mal meine Hände an. Was die schon genäht wurden. Seit sechs Jahren mache ich das. Habe einen Vertrag mit der Direktion. Darf auch kein anderer rein. Manchmal kommt schon mal einer zu Besuch, der einen Angehörigen schneidet. Dann sag ich nichts. Soll er doch. Darauf kommt es dann auch nicht an. Einen Angehörigen schneiden sie schon mal, die Kollegen, aber im Krankenhaus arbeiten wollen sie nicht. Wenn man sagt, man ist Krankenhausfriseur, dann winken sie alle immer gleich ab. Doch, doch, wir sind einfach unbeliebt. Da mach ich mir gar nichts vor. Das kann auch daran liegen, daß m den anderen Krankenhäusern meistens nur Rentner arbeiten oder irgendwelche Aushilfen, die nie lange bleiben. So richtig als Beruf kriegen sie da keinen ran.

Oder sehen Sie sich meine Brille an. Da sehen Sie gar nichts. Das ist eine billige Kassenbrille, sehen Sie. Früher hatte ich eine Brille zum Zuzahlen, eine zum Nah- und Weitsehen. Da kostete jedes Glas hundertzwanzig Mark, die ganze Brille vierhundert. Die haben mir die Kunden ein paarmal runtergestoßen, aus Versehen. Meine Versicherung sagte: Ja, wenn Sie dem Kunden die Brille runterstoßen, dann zahlen wir. Aber nicht, wenn's umgekehrt ist. Dann müssen Sie selber dafür aufkommen. Das kommt in einem Laden gar nicht vor, daß ein Kunde dem Friseur die Brille runterstößt. Ist schon ein schwieriges Geschäft hier. Können Sie mir glauben.

Kranke sind nörgelige Kunden. Man macht es ihnen selten recht. Ich kann's ja verstehen. Zu Hause hat man seinen Friseur. Seit fünf Jahren oder zehn. Zu dem geht man. Er sagt: einmal Haarschneiden wie immer, und man braucht gar nichts weiter zu sagen. Nicht wahr, so ist es doch. Sehen Sie, ist eine ganze Menge runtergekommen, hat sich schon gelohnt. Und im Krankenhaus, da setzt man sich hin und denkt: Was macht der jetzt. Ich kann die Kunden schon verstehen. Würde mir auch so gehen.

Jedenfalls kriegen Sie keinen Friseur, der ins Krankenhaus will. Es ist schon so. Man darf hier nicht zimperlich sein. Zuerst war mir ja auch nicht immer ganz wohl. Aber daran muß einer sich in diesem Fach eben gewöhnen. Er darf sich nicht zieren. Hier sieht er auch mal einen Toten. Mir ist es schon passiert, daß mir einer unter dem Messer den letzten Seufzer gemacht hat. Sehen Sie, dann darf man kein großes Geschrei anfangen, wenn man mittendrin ist, dann muß man ganz ruhig bleiben. Dann macht man einfach weiter, bis er fertig ist, geht die Oberschwester suchen oder den Arzt. Sagt: ein Exitus. Und dann wird er rausgeschoben. -Warten Sie, ich mach hier noch die Haare weg. Woll'n Sie mal sehen? Na? Nicht wie zu Hause, aber sieht er nicht wieder aus, der Kopf? Oder? Für die Bettschönheit allemal, was? Das war's denn. Macht neunfünfzig. Wenn ich wiederkomme, sind Sie hoffentlich schon bei Mutter. Alles Gute denn.

Wolfgang Fietkau


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