Alles klar

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Wenn einer etwas verstanden hat, sagt er oft: alles klar. Mir kommt es aber manchmal so vor, als wenn jemand auch dann „alles klar“ sagt, wenn er ganz und gar nicht verstanden hat, worum es geht. Neulich versuchte ich eine Bestellung aufzugeben, die etwas kompliziert war. Der Mensch, der sie entgegennehmen sollte, machte ein treuherziges Gesicht, in dem man genau ablesen konnte, daß die Hauptsache überhaupt noch nicht angekommen war. Dann eine entschlossene Handbewegung: alles klar.

Was macht man nun? Ich kann doch nicht einem Menschen, der sagt, ihm sei alles klar, noch einmal alles erklären. Er würde mich für einen Blödmann halten, der nichts verstanden hat. Andererseits will man auch ihm nicht zeigen, daß man ihn für einen Blödmann hält. Richtig hilflos wird man da, obwohl doch angeblich alles klar ist. Soll man abwarten, was jetzt passiert?

Wahrscheinlich ein Unglück. Ein großes oder ein kleines: Ein Kellner bringt das Falsche oder das Richtige zur falschen Zeit, ein Frisör schneidet genau das weg, was er diesmal stehenlassen soll, ein Arzt sagt „Was macht denn das Ohr", obwohl es doch die Hand ist. Ein Chef sagt, „Also, ich habe Sie hierher zitiert", obwohl man doch selber um dieses Gespräch gebeten hatte. Da fährt einer mit einem fast leeren Tank auf die Autobahn; da unterschreibt einer einen Vertrag, den er nicht richtig verstanden hat. Da fährt ein Taxifahrer in die falsche Goethestraße, die es doch dreimal in dieser Stadt gibt, da verwechselt einer die Medikamente. Immer hat jemand „alles klar“ gesagt. Aber das war falsch.

Warum sagen wir so schnell „alles klar", obwohl wir manchmal nichts begriffen haben? Vielleicht, weil uns immer weniger klar ist. Die Gesetze, Ausführungsbestimmungen, Gebrauchsanweisungen, Religionen, Parteiprogramme, Zeitungsmeldungen, Reklame: Alle wollen sie Klarheit schaffen und sind doch reichlich verwirrend. Da behauptet man einfach, den großen Durchblick zu haben, am besten gleich auf allen Gebieten. Man hört kaum hin, man liest drei Zeilen: Alles klar, ich weiß, wohin der Hase läuft.

So ist wohl Vorsicht angebracht, wenn man sich und andere bei der Parole „Alles klar“ erwischt. Natürlich gibt es Leute, die einem die selbstverständlichsten Dinge der Welt umständlich erklären wollen. Natürlich bleibt einem manchmal nichts anderes übrig, als sie mit dem Hinweis zu stoppen, das sei doch eigentlich alles klar. Bei der Arbeit kann es stören, wenn einer so tut, als hätte er die ganze Branche erfunden. Solche Kollegen und Kolleginnen gibt es in allen Berufen, und erst recht auch jene Amateure, die vieles besser wissen als die Fachleute. Natürlich möchte man dann manchmal sagen: Hör doch auf, du erzählst lauter Selbstverständlichkeiten. Das ist doch alles klar.

Aber dann sind da auch die anderen, bei denen man selbst zum Blödmann wird mit einem schnellen „Alles klar“. Das sind zum Beispiel die Tüftler, die etwas Neues versuchen; sie wollen Grenzen überschreiten, die in ihrem Handwerk, ihrem Geschäft oder ihrer Wissenschaft bestehen. Sie wissen recht genau, was innerhalb dieser Grenzen möglich ist, da haben sie ihre Erfahrungen. Aber sie finden sich mit den Grenzen nicht ab. Wenn sich nun jemand, der sich in diesen Grenzen bewegt, neben sie stellt und sagt, es sei doch alles klar, dann nervt sie das natürlich, weil der andere sich mit so wenig Klarheit schon zufrieden gibt und gar nicht kapiert, worauf sie aus sind. So ist das bei der Arbeit aber auch sonst.

Manchmal heißt „alles klar": Ich mache das, wie ich es gewohnt bin, es geht alles den üblichen Gang, etwas Neues ist dabei nicht vorgesehen, so wie mir etwas klar ist, hat es dir auch klar zu sein. Dieselbe Klarheit für uns beide, meine Klarheit ist deine Klarheit. Ebensogut könnte man natürlich sagen: Meine Beschränktheit soll auch deine Beschränktheit sein. Denn, wo alles klar ist, hört das Suchen und Vermuten, da hört das Denken auf.

Wolfgang Fietkau


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